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Begegnungen:
Wer ist der Penner auf dem Berg?

Früh am Morgen,
weil es da noch nicht so heiß ist.
Zu früh eigentlich, um so eine Tour zu machen und viel zu früh, um auf dem Berg überhaupt jemand anderen zu treffen.
Und definitiv zu früh für ein Lagerfeuer.

Mit dem Mountainbike bin ich auf den 850 m hohen Berg im Schwarzwald geradelt, direkt am Stadtrand. Als ich oben ankam, war ich wie erwartet alleine da.

Fast alleine.
An der Feuerstelle knistert ein kleines Lagerfeuer.
Das sehe ich hier oben sehr selten, obwohl ich oft da bin. Zeit für ein Lagerfeuer ist der Abend, der Abend ist aber nicht meine Zeit - da ist es zu dunkel für eine Abfahrt mit dem Mountainbike durch den Wald.
Ein Lagerfeuer - am frühen Morgen?
Ein Mann sitzt am Feuer.
Er sieht etwas heruntergekommen aus, zumindest ist er so gar nicht angezogen wie die meisten, die man hier auf dem Berg trifft. Man sieht hier lockere Freizeitkleidung, Wanderklamotten, modernes "Bike-Outfit", bevorzugt im angesagten "Look".
Den Mann, der da am Feuer sitzt, qualifiziere ich daher schnell: Es muss einer der Nicht-Sesshaften sein, die hier am Berg gerne in den Pavillons aus der Gründerzeit dicht über der Stadt übernachten.
Aber hier oben hatte ich noch nie einen von ihnen gesehen. Ob er hier die Nacht verbracht hat? Warum sollte er sonst so früh am Tag hier sein?

Auf jeden Fall ist er so gar nicht der Typ, mit dem ich normalerweise Kontakt habe. Normalerweise würde ich jeden grüßen, den ich hier treffe, wie das so in der Natur unter Bergwanderern und Mountainbikern üblich ist. Aber der da ist ja kein solcher.
Und außerdem sieht der so ungepflegt aus.

Ich mache mich fertig für die Abfahrt, ziehe Knie- und Ellenbogenschützer an und eine warme Jacke drüber. Mit hight-tech Windschutz und angesagtem Logo.

Mein Blick stiehlt sich doch immer wieder zu der eigentümlichen Gestalt da am Feuer.
Lange Haare. Ungepflegt.
Langer Vollbart. Ungepflegt.
Wie der wohl drauf sein mag? Abweisend? Aggressiv? Bestimmt eine sehr schlichte Natur, viel Gesprächsstoff wird es da nicht geben.
Lasse ihn lieber in Ruhe und bleib auf Abstand.

Kurz bevor ich schließlich den Helm und die Handschuhe anziehe, gehe ich zu ihm hin. Es gehört sich ja eigentlich nicht, einen Fremden einfach zu stören.
"Guten Morgen!" sage ich, als ich die paar Schritte näher komme.
Er schaut nicht auf, sein Blick bleibt auf das Feuer gerichtet.
"einen schönen Morgen haben wir heute, nicht wahr!" sage ich weiter.
Er hätte genausogut blind und taub sein können oder ich unsichtbar und stumm - denn er reagiert überhaupt nicht.

Oder - was mir in diesem Moment allerdings nicht einfällt - er fühlt sich durch meine dümmliche Allerwelts-Ansprache nicht zu einer Antwort veranlasst.

Denn die Antwort kommt. In dem Moment, in dem ich etwas sinnvolles zu ihm sage:
"Es tut gut auf dem Berg."
Vielleicht hat er dazu eine Antwort oder einen Kommentar?
Hat er.
Weiter auf das Feuer schauend, sagt er:
"Ja. Und man lässt immer etwas oben."

Das war alles.
Aber ich habe weder den Ausdruck dieses Mannes über die Jahre seither vergessen, noch die etwas unheimliche Szenerie.
Und am wenigsten seine so klare Ansage.

Er hat recht.
Und an diesem Tag habe ich ganz besonders viel oben gelassen.
Zwei schwere Steine habe ich jedoch mit mir mitgenommen.
Einer heißt "Danke!". Der andere heißt "Entschuldigung!"

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